Sonntag, 26. März 2006

Passen wir zusammen?

Eigentlich sollte ich froh sein, dass sie mich überhaupt reingelassen hat. Sie wohnt vielleicht acht Kilometer entfernt und ich war so dumm (nicht dumm, nur mittellos), dass ich mit dem Fahrrad zu ihr gefahren bin. Im strömenden Regen. Mein Auto steht unpraktischermaßen bei Andy vor der Tür. Ich hätte erst mit dem Rad zu ihm gemusst, dann würde mein Fahrrad da noch rumstehen, das müsste ich dann später abholen... viel zu großes Spektakel dafür. Die Sektflasche in meiner Uni-Tasche, den nassen Straßenmatsch auf der Jacke, meinem T-Shirt und der Tasche, durchnässt bis auf die Knochen, stand ich vor ihrer Tür. Glücklicherweise konnte ich mich dann doch noch von der obersten Schicht (T-Shirt, drunter ein Rolli) meines Zwiebel-System-Outfits entledigen und sah fast aus wie neu. Bis ich die Sektflasche öffnen wollte. Geschüttelt, nicht gerührt. Aber in dem Fall war sogar das zuviel. Der Korken flog ab, zu meiner Überraschung (Ich Idiot). Ich saute meine Hose mit dem halben Inhalt der Flasche voll. Außerdem ihren Teppich, aber "der sieht immer so aus". Nach gekünsteltem Lachen von mir und sehr echt wirkendem Lachen ihrerseits, sagte sie:
"Du blutest ja!"
Ich schaute in ihre Blickrichtung. Mein linker Mittelfinger! Ich Trottel habe mich beim Sektflascheaufmachen auch noch geschnitten. Das war wirklich eine Meisterleistung.
"Brauchst Du ein Pflaster?"
"Nee, nee, das geht schon. Ist ja nicht so groß die Wunde."
Jetzt überlege ich mir allerdings, ob es nicht doch besser gewesen wäre, ein Pflaster einzufordern. Spätestens in diesem Moment. Meine Versuche, die Wunde durch pure Sebstheilungskräfte am Bluten zu hindern, scheitern. Außerdem lässt sich mit dem (Mittel-) Finger im Mund so schlecht Konversation betreiben. Ich muss beim Gestikulieren aufpassen, dass ich nicht die gesamte Inneneinrichtung versaue und mit dem Arm in der Luft (Mutters Blutwundenstoppungsmethode) sieht`s blöde aus, seh` ich blöde aus. Also:
"Kann ich mich vielleicht doch erdreisten, nach einem Pflaster zu fragen?"
"Ja klar, ich hol dir eins"
Fertig. So schnell und alles ist wieder prima. Bis auf den Teppich. Und meine Hose. Aber das ist erstmal egal. Nun wird sich wieder auf das Wesentliche konzentriert: Nicht noch bescheurter wirken. Was mir nicht richtig gelingen will, als sie erwähnt, sie habe eine neue Haarfarbe und Frisur:
"Ja, doch, stimmt. Hab ich schon bemerkt, aber ich wollte nichts sagen. Weil du dann wahrscheinlich auf die Idee gekommen wärst, dass ich`s letztes Mal nicht gesehen hätte, falls die Haare da auch schon so ausgesehen hätten und du vielleicht gedacht hättest, dass ich es da schon nicht bemerkt habe."
Ganz tolles Statement Christian, astreine Wortwahl. Suuuper. Was Schlechteres ist dir wohl nicht eingefallen, was!? In Gedanken bin ich schon dabei, mir mit dem (sonst so überflüssigen) Drahtgebammsel der Sektflasche die Pulsadern aufzuschneiden, wenn sie nächstes Mal auf`s Klo rennt. Doch so weit wird es nicht kommen, denn alle meine Erwartungen ihrer Reaktion betreffend treten nicht ein.
Sie lacht nur. Danke!
Eigentlich hat sie eine angenehme Lache. Ja, sie gefällt mir, diese Lache. Nur die Lache? Ich weiß noch nicht. Abwarten! Abwarten geht aber gar nicht. Meine Gedanken wollen nicht davon weg, mich selbst zu analysieren. Sie ist mir nicht egal, soviel steht schon mal fest. Sonst hätte ich gar nicht versucht nicht so trottelig zu wirken (was ja immer dann am wenigsten klappt). Sie raucht nicht. Hat aufgehört, vor `nem Jahr. Gut so, sollte ich auch machen. Aber nicht jetzt. Jetzt scheint mir der ungeeignetste Zeitpunkt dafür zu sein.
"Wenn Du rauchen willst, kannst`e auf den Balkon gehen"
"Ach quatsch, das ist schon okay. So süchtig bin ich auch wieder nicht"
Leider wächst mit zunehmendem Promille-Wert auch die Lust, auch die Lust zu rauchen. Anne geht zur Toilette. Ich nehme mir einen Glimmstengel und wandere zur Balkontür. Es regnet noch immer. So ein Dreck. Nichtmal ein winziges Vordach über dem Balkon, keine Makise zum ausziehen, nein. Anstatt mir zu überlegen wieder kehrt zu machen und dieser heute-Abend-rauchen-Geschichte ein Ende zu bereiten, zünde ich mir die Kippe an. Als sie vom Lokus zurückkehrt sagt sie
"Kannst dich ruhig zur Hälfte reinstellen. Ausnahmsweise. Aber bitte nach draußen pusten!"
"Is` doch klar"
Da bin ich aber froh. Werde ich nur zur Hälfte nass. Da bin ich ja wie Hans im Glück. Es schüttet aus Eimern und es ist saukalt. Ich drehe mich natürlich zu ihr (sie sitzt auf dem Sofa), während ich versuche elegant auszusehen, so mit einem Bein drin und dem Rest draußen. Gut, dass das Bein nicht nass wird. Das wär` ja was. Da könnten sich womöglich Sekt (dessen Spuren sich noch immer deutlich als Riesenfleck auf dem "trockenen" Hosenbein abzeichnen) und Regenwasser vermischen. Nach fünf Zügen mache ich sie aus.
Die erste Flasche Sekt leert sich und bei`m Öffnen der nächsten geht alles glatt. Wir reden, lachen, schauen Fotos an, rauchen nicht. Nebenbei läuft Mtv mit irgendwelchen beknackten massenverträglich gemachten Popsongs (wenn man das da überhaupt noch so nennen kann), aber das stört mich nicht weiter. Sie bekommt nun sporadisch Sprachprobleme, ergo; ist gut dabei. Bei mir würde es noch zwei, drei Flaschen dauern, dafür fällt mein Blick, in den Augenblicken, in denen sie mich nicht anschaut, in ihren wunderbaren Ausschnitt. Sie ist überhaupt nicht so übel wie ich dachte. Habe sie schon dabei erwischt, wie sie mir auf meinen Schritt geguckt hat. Und sie streicht ihre Haare immer wieder hinter`s Ohr, auf der mir zugewandten Seite. Jeder, der schon mal in irgend so `nem Verhaltenspsychobuch geblättert hat, weiß, dass das ein "sehrsehrgutes Zeichen" ist.
"Um halb zwölf muss ich dich leider rausschmeißen..."
Stille
"...ich muss morgen schließlich früh raus"
"Ja klar, is` kein Problem" lüge ich ihr in die Tasche.
Schweigen. Es regnet immernoch.
Ich warte ein halbe Stunde, versuche ein Gespräche aufrecht zu erhalten, sage dann "Na gut, ich muss ja morgen auch zur Uni", wir verabschieden uns mit einer Umarmung und ich fahre durch die Bindfäden, die vom Himmel hängen, zurück zu mir. Ausziehen, weiß nicht, wie ich mich fühlen soll, duschen, schlafen gehen.


Alle Personen und Ereignisse in diesem Beitrag sind frei erfunden.

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